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Die Zähmung der Rohstoffmärkte (09/10)

Es ist mal wieder soweit. Nachdem die Finanzaufsichtsbehörden sowohl in den Vereinigten Staaten als auch im EU-Raum die Investmentprodukte der Banken, welche der scheinbar uferlosen Fantasie der Finanzspekulanten entspringen, nunmehr genauer unter die Lupe nehmen, haben besagte Finanzjongleure zum wiederholten Mal ein weiteres Betätigungsfeld für sich entdeckt, nämlich die weltweiten Rohstoffmärkte.
Es sei daran erinnert, dass es zu einer Beinahekatastrophe für das europäische Finanzsystem gekommen ist, zunächst mit schwerwiegenden Liquiditätsproblemen der europäischen Banken, die sich mit einer Reihe von Finanzderivaten verspekuliert hatten, dann die Zahlungsunfähigkeit des EU-Partners Griechenland, dem mit einem Milliardenhilfspaket über Nacht auf die Beine geholfen werden musste. Mir persönlich gefällt das Bild einer Krücke besser, denn meiner Meinung nach ist das Problem Griechenland noch nicht ausgestanden. Aber was soll es, dann bleibt ja immer noch die Möglichkeit der „Umschuldung“, gemeint ist die Abschreibung der mit vielen Steuergeldern finanzierten Hilfen. Nur, was dann? Derweil bewegen sich andere EU-Mitgliedsländer hart am Rande des finanziellen Abgrundes, sieht man sich die Defizite der betroffenen Staatshaushalte an. Das ganze Szenario wurde begleitet von einem Wertverfall des Euro gegenüber den anderen Währungen. All dies hätte, wenn nicht unbedingt völlig vermieden, dann doch zumindest sehr viel kontrollierter über die Bühne gehen können, hätten die EU-Staaten eher reagiert. Bedenkt man, dass vor Einführung des Euro genau das Griechenlandszenario in theoretischen Modellen durchgerechnet wurde, das Problem der Zahlungsunfähigkeit eines EU-Mitgliedstaates und der daraus entstehenden Konsequenzen für den gesamten Euro-Raum also vor über zehn Jahren erkannt wurde, und trotzdem keine frühzeitigen Massnahmen ergriffen wurden, so fühle ich mich von Europa zumindest enttäuscht, ja getäuscht.
Nunmehr haben die EU-Verantwortlichen die Möglichkeit, es diesmal besser zu machen, womit wir wieder bei der Spekulation mit Agrarrohstoffen, Öl und Metallen wären:
Die vorgesehenen Regeln für den Derivatehandel sind nicht ausreichend, um die Rohstoffspekulation zu bändigen. Erinnert sei an die Spekulationswelle Mitte 2008, die uns zum Beispiel einen Rohölpreis von beinahe 150 $/Barrel beschert hat. Bei niedrigen Zinsen, wie wir sie jetzt haben, wendet sich das Interesse der Investoren auf ihrer Renditejagd auch wieder den Agrarrohstoffen zu, also Weizen, Soja und Kakao. Die in diesem Bereich tätigen Fonds haben ihr Investmentvolumen um 20 % auf rund 200 Milliarden Dollar erhöht, wohl bemerkt seit Jahresbeginn. An Terminbörsen wird wieder gewettet, womit die Kursausschläge und Preissteigerungen, die auf Missernten und grössere Nachfrage zurückgehen, verstärkt werden. Die Geschäfte an den Terminmärkten sind undurchsichtig. So beschwerten sich im Juli zum Beispiel eine Reihe Anbauländer sowie Importeure der Kakaopflanze über Marktmanipulationen an der Londoner Terminbörse. Ein Hedge-Fonds-Manager hatte auf einen Streich rund 7 % der weltweiten Kakaoernte gekauft und trieb damit die Preise hoch. Trotzdem existieren bislang keine festen Limits im Rohstoffhandel. Ausserdem fehlen den Verkäufern wichtige Auskünfte, was den Handel verzerrt und den Markt uneffizient macht.
Was tun? Die Vereinigten Staaten haben unter dem Impuls von Präsident Barack Obama längstens reagiert. Die amerikanische Terminbörsenaufsicht macht wöchentlich sämtliche Positionen der Marktteilnehmer und Spekulanten bekannt und sie setzt ausserdem Obergrenzen für das Volumen der gehandelten Ware fest. Ein aktueller Vorstoss der französischen Regierung will genau dieses auch in Europa durchsetzen. Finanzinvestoren im Rohstoffhandel sollen lediglich eine bestimmte Anzahl an Kontrakten erhalten um zu vermeiden, dass sie den Preis bestimmen können. Natürlich wird sich London wieder querlegen, jedoch genügt eine Mehrheit der EU-Staaten und des EU-Parlaments um neuen Regeln zuzustimmen. Notwendig ist eine neue Aufsichtsinstanz für den Rohstoffhandel, neben der geplanten Wertpapieraufsicht.  Frankreich wird ab November für ein ganzes Jahr den Vorsitz der Industrie und Schwellenländer G20 übernehmen. Der Vorstoss der französischen Regierung verdient die volle Unterstützung der anderen EU-Mitgliedsstaaten, denen die Chance geboten wird, es besser zu machen als bei der Finanz- beziehungsweise Schuldenkrise, die übrigens noch längst nicht ausgestanden ist.
 

Guy Goedert
Administrateur-Chargé de direction

14/09/2010