Noch gibt es nicht die Sammelklage in Luxemburg


Der Verkauf von Dieselfahrzeugen mit von der VW-Gruppe manipulierten Emissionswerten („Dieselgate“) stellt den exemplarischsten Fall dar, in dem eine Sammelklage gerechtfertigt ist. Es ist somit nicht erstaunlich, dass unsere Kollegen in Belgien, Italien und Spanien derartige Klagen im Namen Tausender Verbraucher erhoben haben, die durch eine gleiche illegale Praxis geschädigt wurden. In diesen Ländern sind solche Klagen durch Verbraucherschutzverbände möglich. Wie verhält es sich aber bei uns? Nach jüngsten Informationen soll das Wirtschaftsministerium nun endlich eine Voranalyse einleiten, die auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Luxemburg aber auch das vergleichende Recht konzentriert ist. Wie aus dem Ministerium verlautet, stellen das belgische und französische Modell eine Inspirationsquelle dar, sind aber auch Gegenstand großer Kritik seitens der Rechtslehre. Vor jeder Gesetzesinitiative sind daher weitergehende Überlegungen unerlässlich, heißt es. In Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage vom März 2015 hatten die zuständigen Minister angegeben, dass „die Regierung sich sehr wohl der Erwartungen der ULC und der luxemburgischen Anwaltskammer bewusst ist und soweit möglich Sorge tragen wird, sie bei der Implementierung der Empfehlung 2013/396/EG der Europäischen Kommission zu berücksichtigen“1. Der Wettbewerbsrat bedauerte seinerseits das Fehlen einer Sammelklage: „Wie die Union Luxembourgeoise des Consommateurs betonte, hätte dieses Instrument seine Früchte bereits in zwei Rechtssachen tragen können, in denen der Rat Geldstrafen im Bereich Fernsehen und Versicherungsmarkt ausgesprochen hat“2.

Die Europäische Kommission verabschiedete am 11. Juni 2013 eine Empfehlung bezüglich gemeinsamer Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadenersatzverfahren, wobei die Mitgliedsstaaten aufgefordert wurden, diese Grundsätze bis zum 26. Juli 2015 umzusetzen3. Im laufenden Jahr dürfte die Kommission überprüfen, welche nationalen Initiativen ergriffen wurden, und wird feststellen, dass sich in Luxemburg leider nichts getan hat, es sei denn die Vorbereitungsarbeiten führen zu ersten Ergebnissen. Es lässt sich nicht verbergen, dass unsere Behörden im Rückstand sind, der Vorteil ist aber, dass wir einige nützliche Lehren aus den ersten Erfahrungen unserer Nachbarländer ziehen können. In Frankreich können Gruppenklagen seit dem 1. Oktober 2014 eingebracht werden. Bis heute wurden jedoch nur neun Klagen erhoben: drei im Sektor Mietimmobilien, drei im Finanzsektor, eine im Bereich der elektronischen Kommunikation, eine im Bereich des Campingbetriebs und eine betreffend die Entschädigung infolge eines Fehlers (BMW Motorrad France). Ein Informationsbericht der Nationalversammlung vom 19. Oktober 2016 kommt zu dem Schluss, dass der Erfolg angesichts der Ambitionen des Gesetzes, bescheiden ausgefallen ist und dass die von den Berichterstattern durchgeführten Interviews Anwendungsschwierigkeiten erkennen lassen. So sind die Voraussetzungen zu restriktiv, da ausschließlich zugelassene Verbraucherverbände berechtigt sind, derartige Sammelklagen einzureichen. Sie verfügen nicht über ausreichende Mittel angesichts der hohen Verwaltungskosten, die den Verbänden entstehen, um die Verfahren erfolgreich führen zu können. Außerdem sind die Verfahren langwierig, und es müssen viele Bedingungen erfüllt werden, mit denen praktische Schwierigkeiten einhergehen können, um in bestimmten Fällen auch Beweise einbringen zu können. Um den Beweis für einen Schaden zu liefern, müsste ein Verbraucher z.B. seinen Kassenbon für mehrere Jahre aufbewahren. Auch die Phase der Auszahlung der bewilligten Beträge dürfte sich in die Länge ziehen. Zumindest müssten die auf ein solches Verfahren anzuwendenden Fristen beschränkt werden. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Quantifizierung des individuellen Schadens, z.B. im Bereich der Netzabdeckung bei Internetanschlüssen oder bei Verspätungen öffentlicher Verkehrsmittel. Daher haben die Verbraucherverbände um die Möglichkeit der pauschalen Festsetzung des Schadens ersucht, damit wettbewerbswidrige Verhaltensweisen bzw. betrügerische Geschäftspraktiken sanktioniert werden können.

Laut den Berichterstattern erweist es sich als notwendig, dieses Verfahren effizienter und flüssiger zu gestalten. Es könnte nützlich sein, das Verfahren für Ad hoc-Verbände und die zuständigen Behörden zugänglich zu machen. Auch müsste die Möglichkeit der Einrichtung eines finanziellen Unterstützungsfonds geprüft werden.

In Belgien wurden fünf Gruppenklagen durch „Test Achats“ seit Oktober 2014 eingereicht, aber außer einer gütlichen Einigung mit dem Reiseveranstalter Thomas Cook, der nicht alle Verbraucher für einen verspäteten Flug entschädigen wollte, hat keine zum Erfolg geführt. Wie in Frankreich vergeht viel Zeit, da man zuerst abwarten muss, bis ein Richter über die Zulässigkeit einer Sammelklage entschieden hat. Diese erste Zulässigkeitsentscheidung lässt überdies in den VW-Rechtssachen sowohl in Belgien als auch Italien auf sich warten. Sodann ist in dem belgischen Verfahren eine obligatorische Verhandlungsphase mit dem betreffenden Unternehmen enthalten, die mehrere Monate dauern wird. Was nützt dies aber im Falle von VW, das rundweg jede gütliche Einigung über eine Entschädigung in Europa ablehnt?

Anlässlich der europäischen Konsultationen zur Gruppenklage hatte die luxemburgische Anwaltskammer vor einem neuen, potentiell äußerst lukrativen Geschäft für die Verbraucherschutzverbände gewarnt. Das französische und das belgische Modell belegen im Gegensatz dazu aber die hohen Kosten für die Verbände. In diesen beiden Ländern ist es den Verbänden nicht erlaubt, von den an einer Sammelklage beteiligten Verbrauchern zu verlangen, irgendeinen Betrag oder Mitgliedsbeitrag an ihre Organisation zu zahlen und sie müssen die Klagerisiken selbst tragen.

Wenn die ULC, wie alle anderen Verbraucherschutzverbände in Europa, weiterhin ein Gesetz fordert, das Sammelklagen erlaubt, wobei es sich „unter Berücksichtigung der Fakten und Umstände des Streitfalls (Größe der Gruppe, Schäden, die ausreichend miteinander in Verbindung stehen, um in einem gleichen Verfahren behandelt werden zu können usw.) um ein Verfahren zur kollektiven und wesentlich rationelleren Entschädigung handelt als bei einer Klage nach Gemeinrecht“ (Webseite des belgischen Wirtschaftsministeriums), müssen Fristen, Verfahrensmodalitäten und Finanzierung daraus ein tatsächlich nützliches Rechtsmittel machen. Es wird andere Verfahren ergänzen, die die Beilegung von Verbraucherstreitfällen erlauben, wie z.B. die Mediation, die erst kürzlich in unser Verbraucherschutzgesetzbuch aufgenommen wurde oder die Europäische Verordnung, durch die ein Verfahren zur gerichtlichen Regelung kleinerer Streitfälle eingeführt wurde, das nicht ausreichend bekannt ist und kaum angewandt wird.


1 Parlamentarische Anfrage Nr. 986 von M. L. Mosar
2 Mitteilung Nr. 2016-AV-05 vom 1. Juni 2016 über die Übertragung von Richtlinie 2014/104/EU über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen
3 Amtsblatt der EU L 201 vom 26.7.2013