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Ein Schritt nach vorn, zwei Schritte zurück - Der Tanz um den Nutri-Score geht in Europa weiter

Der Nutri-Score spaltet immer noch die Meinungen in Europa. Trotz Fortschritten wie in Frankreich bremst der Mangel an europäischer Standardisierung seine Einführung aus. Carrefour und Verbraucherverbände plädieren für eine bessere Sensibilisierung und Harmonisierung.
12 Dezember 2024
© Adriana Iacob / Shutterstock.com

Die Debatten um den Nutri-Score sind nach wie vor hitzig, manchmal mit deutlichen Fortschritten wie in den letzten Wochen in Frankreich, gefolgt von ebenso deutlichen Rückschlägen, die den uneinheitlichen Fortschritt bei der Umsetzung des Nutri-Scores in den europäischen Staaten verdeutlichen.

Zur Erinnerung1, dieses aus fünf Buchstaben und Farben bestehende Logo, das auf der Vorderseite von Lebensmitteln angebracht wird, ist ein im Jahr 2017 von der Santé Publique France geschaffenes System zur Nährwertkennzeichnung, das den Gehalt an Nährstoffen und Lebensmitteln, die bevorzugt werden sollen, gegenüber Nährstoffen, die eingeschränkt werden sollen, berücksichtigt. Sieben Länder in Europa (Frankreich, Belgien, die Niederlande, Deutschland, Spanien, die Schweiz und Luxemburg - Portugal führte es im April 2024 ein, bevor es zwei Monate später aufgrund innenpolitischer Wendungen wieder eingestellt wurde) haben es bislang zur Verwendung durch ihre Lebensmittelunternehmer auf freiwilliger Basis implementiert.

Ein verbesserter Berechnungsalgorithmus trat 2024 in Kraft (auch in Luxemburg), um auf einige Kritikpunkte zu reagieren, indem die Ernährungsqualität innerhalb verschiedener Produktkategorien jetzt besser differenziert wird (ein anschauliches Beispiel ist nun die Berücksichtigung von Süßstoffen in Getränken als Ersatz für Zucker2). Dies geschah zum größten Leidwesen einiger Betreiber, wie etwa das Unternehmen Danone, das zum Beispiel schnell ankündigte, das Logo von seinen Joghurtdrinks zu entfernen, deren Bewertung stark gesunken war3.

Eine Zeit lang wurde der Nutri-Score als mögliche harmonisierte und obligatorische Kennzeichnung auf EU-Ebene im Rahmen der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ der Europäischen Kommission4 in Betracht gezogen, doch die Kommission machte bereits 2022 einen Rückzieher und hat bis heute keine Kennzeichnung vorgeschlagen, die einhellig akzeptiert werden könnte. Dies ist der Skandal des „Pausierens“ dieser Strategie (einschließlich der Überarbeitung der EU-Kennzeichnungsverordnung, der sogenannten „LMIV-Verordnung“5), wie sie insbesondere vom „Europäischen Verbraucherverband“6 (BEUC – zu dessen Gründungsmitgliedern die ULC gehört und die auch deren Beschwerden unterstützt) weithin angeprangert wird. Ein erst kürzlich erschienener Bericht des Europäischen Rechnungshofs7 (siehe Seite 5) kommt zu ähnlichen Schlussfolgerungen und stellt fest, dass „die Koexistenz mehrerer Systeme [der Nährwertkennzeichnung] in der EU zu einer Fragmentierung des Marktes führen und die Verbraucher verwirren kann.“

In Frankreich haben sich die jüngsten Ereignisse jedoch in Richtung des Nutri-Scores bewegt, da die Nationalversammlung Bestimmungen verabschiedet hat, die die Verwendung des Nutri-Scores für alle Produkte vorschreiben8. Die von der Regierung9 sofort angefochtenen Bestimmungen haben jedoch kaum Chancen, verabschiedet zu werden, obwohl ein Forscherkollektiv den Premierminister im Oktober aufgefordert hatte, sich in Europa nachdrücklich für das Logo einzusetzen10. Ein weiteres Beispiel ist die Ankündigung des Handelsriesen Carrefour, das Logo künftig automatisch auf allen Produkten anzubringen, die auf seiner Website verkauft werden (es sei denn, die Betreiber sprechen sich ausdrücklich dagegen aus, was den Kunden jedoch mitgeteilt wird)11. Carrefour hat darüber hinaus alle seine Lieferanten ausdrücklich aufgefordert, das Logo auf ihren Produkten anzubringen, da Carrefour andernfalls „an ihrer Stelle“ das Logo berechnen wird. Man kann die Progressivität des Unternehmens nur begrüßen, vor allem angesichts von auf den ersten Blick widerspenstigen Giganten wie Ferrero, die sich auf die ganz offiziellen Manöver ihres Landes, um den Nutri-Score zu verhindern, stützen können.12

In diesem sehr hitzigen Kontext nahm die ULC am ersten Forum der Nutri-Score-Nutzer teil, das am 2. Oktober vom Lenkungsausschuss, der aus jedem der Länder, die den Nutri-Score eingeführt haben, besteht, organisiert wurde.

Bei dieser Gelegenheit bestätigten die teilnehmenden Betreiber (für Luxemburg vertreten durch die Handwerkskammer) ihre grundsätzliche Unterstützung für das System ... allerdings innerhalb bestimmter Grenzen: Sie lehnten insbesondere jede weitere Änderung des Algorithmus in naher Zukunft ab, da sich sonst ihre Investitionen (insbesondere in die Etikettierung) nicht rentieren würden. Der Lenkungsausschuss bestätigte, dass eine weitere Änderung des Algorithmus nicht geplant sei, erinnerte jedoch daran, dass solche Änderungen durch wissenschaftliche Entwicklungen diktiert würden, die aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht verschwiegen werden dürften.

Die Verbraucherorganisationen, allen voran die ULC, betonten ihrerseits vor allem die Notwendigkeit einer stärkeren Sensibilisierung für den Nutri-Score, am besten auf europäischer Ebene oder zumindest in einer zwischen den teilnehmenden Ländern koordinierten Weise. Tatsächlich sind die diesbezüglichen Maßnahmen von Land zu Land sehr unterschiedlich, zum Beispiel in Frankreich oder den Niederlanden mit breit angelegten TV-Kommunikationskampagnen, in Deutschland mit der Verteilung von Flyern – während es in Luxemburg nur eine bescheidene Informationsseite auf der Website der luxemburgischen Veterinär- und Lebensmittelbehörde (ALVA) gibt.13

In jedem Fall hat der Lenkungsausschuss, obwohl er offensichtlich guten Willens ist, zugegeben, dass er kaum Druckmittel hat, um sich für die verpflichtende Verwendung des Nutri-Scores auf europäischer Ebene einzusetzen oder auch nur die schädlichen Praktiken von Ländern wie Italien oder Rumänien (wie oben erwähnt) zu bremsen.

Wie steht es um Luxemburg in diesem Zusammenhang? Der politische Wille zur Verwendung des Nutri-Scores schien bei seiner Einführung im Mai 2021 vorhanden zu sein, aber eine erste Bewertung, die im Juli 2023 vom Ministerium für Verbraucherschutz (heute Direktion für Verbraucherschutz) in Auftrag gegeben wurde, zeigte die Grenzen des bestehenden Systems auf14. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Evaluierung und des Austauschs während des Forums forderte die ULC ALVA auf (bislang ohne zufriedenstellende Antwort der ALVA), kurz- bzw. mittelfristig folgende Maßnahmen umzusetzen:

  1. Veröffentlichung/Bestätigung der Liste der luxemburgischen Betreiber, die am Nutri-Score (und nicht nur diejenigen, die eine Genehmigung zur Teilnahme beantragt haben) und am Pilotprojekt zur Kennzeichnung nicht vorverpackter Lebensmittel mit dem Nutri-Score teilnehmen15;16
  2. Die Seite zum Nutri-Score soll didaktischer gestaltet werden (zum Beispiel nach dem Vorbild der Seite der Schweizer Behörden17), insbesondere was die Bedeutung des Logos betrifft;
  3. Proaktive Kontaktaufnahme mit anderen Teilnehmerländern, um deren Kommunikationsmittel / Kampagnen (Videos, TV-Spots, Beiträge in sozialen Netzwerken usw.) zu verwenden (oder auf sie verweisen zu können);
  4. Durchführung von Sensibilisierungskampagnen (nach Alter oder Geschlecht differenziert, je nach den Ergebnissen der Bewertung von 2023) für Verbraucher und Betreiber;
  5. Verstärkte Begleitmaßnahmen für Betreiber einführen, um ihnen die Kenntnis und Anwendung des Nutri-Scores zu erleichtern; und
  6. Sich bei den europäischen Instanzen für die (weitere) vorrangige Überarbeitung der LMIV-Verordnung und die Schaffung eines obligatorischen europäischen Nährwertlogos einsetzen (das die Hauptmerkmale des Nutri-Score übernimmt oder sogar dessen obligatorische Verwendung vorsieht).

 

  1. Webseite von Santé Publique France, Themendossier (auf Fransösisch): Nutri-Score | Santé publique France
  2. Webseite von Santé Publique France, Aktualitäten 2024 (auf Fransösisch): Nutri-Score: Der Stand der Dinge bei den Neuerungen 2024 | Santé Publique France
  3. Vgl. ULC-Artikel vom 09.10.2024: Nach strengerer Bewertung - Danone steigt aus Nutri-Score aus | ULC
  4. „Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem“, Mitteilung der Europäischen Kommission vom 20.05.2020.
  5. Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel.
  6. Brief BEUC-X-2023-116_BEUCs_vision_for_a_Strategic_Dialogue_on_the_Future_of_Food_in_the_EU.pdf, 22.09.2023
  7. Vgl. Sonderbericht 23/2024: Lebensmittelkennzeichnung in der EU | European Court of Auditors, 25.11.2024:
  8. Entwurf des Gesetzes zur Finanzierung der Sozialversicherung für 2025, Gesetzänderungen Nr. 1082 und 1084 am 04/11/2024 verabschiedet (siehe auch: (auf Französisch): Lebensmittel: Abgeordnete wollen Nutri-Score-Anzeige verpflichtend machen | LCP - Assemblée nationale).
  9. Rede der Gesundheitsministerin Genevière Darrieussecq, 13/11/2024 (auf Französisch: Der neue europäische nutriscore "wird nicht obligatorisch" in Frankreich sein, sagt die Gesundheitsministerin)
  10. Kolumne (auf Französisch) Die Einführung des Nutri-Score in Europa ist ein dringendes Anliegen der öffentlichen Gesundheit! Zeitung Le Monde, 24/10/2024.
  11. Artikel (auf Französisch) Die Anzeige des Nutri-Score wird auf der Website von Carrefour fast obligatorisch Zeitung Libération, 12/11/2024.
  12. Vgl. hier für weitere Details (auf Französisch): Angesichts der Wissenschaft appellieren italienische Politiker an den "Gastro-Nationalismus", um Nutri-Score in Europa zu blockieren. Eine Untersuchung von Mediapart - NUTRI-SCORE, 04/12/2023
  13. Gewidmete Seite von ALVA hier zugänglich (auf Französisch): FOP und Nutri-Score - Lebensmittelsicherheit - Luxemburg
  14. Bericht "Monitoring der Nutzung des Nutri-Score Labels in Luxemburg", 31/07/2023 (hier abrufbar)
  15. Vgl. Entwurf einer großherzoglichen Verordnung zur Änderung der großherzoglichen Verordnung vom 7. Mai 2021 über die Verwendung des Nutri-Score-Logos, die die Verwendung des Nutri-Scores auf nicht vorverpackten Lebensmitteln in Luxemburg für einen begrenzten Zeitraum in Form eines Pilotprojekts (das einer ministeriellen Genehmigung bedarf) und auf freiwilliger Basis vorsieht.
  16. Bisher hat ALVA bestätigt, dass nur 7 luxemburgische Betreiber beantragt haben, den Nutri-Score verwenden zu dürfen, und nur ein Betreiber ein Pilotprojekt zur Genehmigung eingereicht hat (zum Vergleich: in Frankreich sind es 1406 Betreiber, die den Nutri-Score verwenden...).
  17. Hier abrufbar: Nutri-Score: Einfach ausgewogen essen

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